Der Stein wurde auf dem Gelände des St. Ansgar-Wohnheimes in der Dorfstraße 2 während Umbauarbeiten als Brunnenabdeckung gefunden und aufgenommen und der Gemeinde aus Anlass des 10-jährigen Bestehens des Wohnheimes in Betheln im Jahre 1998 geschenkt.
Das St. Ansgar-Heim erwarb die Caritas von den Erben des ehemaligen Gasthauses "Deutschen Hauses". So ist die Geschichte dieses Steines gleichzeitig auch die Geschichte dieses Gasthauses der Familie Brunotte.
Der älteste urkundliche Nachweis eines existierenden Kruges in Betheln wird im Winzenburger Erbregister von 1578 erbracht. Ebenso sicher gilt auch eine vorhandene Urkunde des Hildesheimer Bischofs Maximilian-Heinrich vom 23. September 1661 als Citationsschreiben über die Kruggerechtigkeit. Da über mehrere Generationen dieses Haus ein Besitz der Familie Brunotte war und als "Dorfkrug" nachgewiesenermaßen existierte, kann man davon ausgehen, dass es sich hierbei um deren Haus und Hof handelte.
Im Jahre 1714 hat eine Feuersbrunst fast das ganze Dorf eingeäschert und alle damals noch strohgedeckten Häuser vernichtet. Nach dieser Zeit wurde eine Feuerversicherung für alle Häuser Pflicht, sie erhielten eine "Brandcassen-Nummer", heute Hausnummer genannt. Diese Hofstelle erhielt damals die Nr. 40.
Bei der Aufteilung der Bethelner Holzteilung im Jahre 1802/03 war Conrad Brunotte Besitzer und erhielt 10 Morgen und 29 Ruthen, ebenso in der Goselei noch 1 Morgen und 29 Ruthen. Bei der Verkoppelung der Bethelner Feldmark erhielt er nach Verteilungsregister vom 24. März 1855 insgesamt 16 Morgen und 66 Ruthen Acker- und Weideland.
Nach dem Tode von Conrad Brunotte führte sein Sohn Christian mit seiner Frau Amalie den Hof und die Gastwirtschaft weiter. Dieser Köthnerhof hatte nach dem Landgemeindegesetz vom 28. April 1859 mit classifizierten Wahlrecht "3 Stimmen in der III Classe". Die Landwirtschaft war notwendig, denn von der Gaststätte allein konnte man nicht leben.
In der nächsten Generation betrieb Sohn Heinrich Brunotte die Hofstelle mit Gastwirtschaft weiter. Er heiratete die am 18. November 1870 in Capellenhagen geborene Ida Jacke. Die Gaststätte wurde Vereinslokal für viele Vereine und Gruppierungen, die in dieser Zeit gegründet wurden, wie Männergesangverein und Feuerwehr.
Mit dem Sieg über Frankreich 1870/71, in der Schlacht bei Sedan, war der Patriotismus im Lande stark gewachsen, so wurde aus dem "Dorfkrug" jetzt das "Deutsche Haus". Jährlich feierte die Dorfgemeinde hier im Hause Anfang September das "Sedanfest", an dem auch alle Schüler teilnehmen mussten, wobei natürlich stets dem Kaiser gehuldigt wurde. Das ca. 150 Jahre alte Fachwerkhaus wurde zu klein, so wurde es 1907 abgerissen und an gleicher Stelle das heutige, viel größere und schönere Haus, nebst Saal, Stallungen und Scheune errichtet. Im Jahre 1908 konnte bereits Einzug gehalten werden und mit der Elektrifizierung in Betheln im Jahre 1909 gab es auch hier elektrisches Licht.
Ganz hohen Besuch bekam das "Deutsche Haus" während eines Truppenmanövers am 6. Juli 1913 von Prinz Oskar von Preußen, einem Bruder des Kaisers, der sich anlässlich eines Übungsritts der Berliner Kriegsakademie in dieser Gegend aufhielt und "gegen Mittag von 10 ½ bis 12 Uhr in der Brunotteschen Gastwirtschaft hierselbst mit 64 Offizieren sein Frühstück einnahm".
Aus der Ehe von Heinrich Brunotte ging die am 7. Januar 1900 geborene einzige Tochter Ida hervor. Diese heiratete den aus Böckwitz/Altmark stammenden, am 14. August1897 geborenen, Land- und Gastwirt Erwin Luckow. Ida starb bereits im Alter von 45 Jahren im Jahre 1945, somit trat Erwin Luckow das Erbe der Brunottes an. Wenige Jahre später heiratete er die am 11. August 1905 geborene Tochter Marianne des Halbspännerhofes Nr. 13 von August Brandes. Zu diesem Hof gehörten 49 Morgen Land und 2,55 ha Wald, die seit 1944 verpachtet waren. Die zum Brunotteschen Haus gehörenden Flächen wurden bis 1952 selbst bewirtschaftet, ebenso die Gastwirtschaft.
Da die Ehe kinderlos blieb, ging der gesamte Besitz nach dem Tode von Erwin Luckow im Oktober 1955 und Marianne im Januar 1970 an verwandtschaftliche Erben, Heinrich Matthies aus Alferde und Familie Lippmann in Benstorf. Im Jahre 1963 brannte die an der Ostgrenze stehende Scheune ab und wurde nicht wieder aufgebaut.
Pfingsten 1946 stand das "Deutsche Haus" im Mittelpunkt des Dorfes. Betheln hatte einen großen Transport von Vertriebenen aus den Ostgebieten zugewiesen bekommen, diese wurden im Haus und Saal untergebracht und versorgt. Von hier aus wies man ihnen Notquartiere und Wohnungen im ganzen Ort zu. Viele Familien und deren Kinder leben heute noch hier im Ort, und Betheln ist zur zweiten Heimat geworden.
Aus gesundheitlichen Gründen verpachtete Erwin Luckow schon 1952 den Gaststättenbetrieb an die aus Schlesien stammende Veronika Quasigroch, die im Clubzimmer auch ein Textilgeschäft eröffnete und beides erfolgreich bis 1960 betrieb. Auf sie folgte Berthold Willuhn, der seine Kunden zu nehmen wußte und auch noch bis spät in der Nacht in der Küche tätig war. Großes Interesse fand auch oft die in der Gaststube stehende, dunkelrot und blank lackierte gusseiserne Säule. Sie hatte es vielen angetan, denn in vorgerückter Stunde versuchte so mancher sein Glück und wollte sie erklimmen, welches aber fast immer misslang. Zu den Glücklichen, die es schafften, zählte Fritz Kraus, der - um die Wette einer Bierrunde zu gewinnen - einfach die Hosen fallen ließ und die Säule erklomm, bis er sein Ziel erreichte.
Einige Jahre später folgte als Pächter Johannes Wegberg, dann der Pächter Stieler für kurze Zeit. Die Umsätze waren geringer geworden und so holte man junge Leute her, das war das Ehepaar Phillips. Diese hatten die Angewohnheit und stellten die Uhr oftmals eine Stunde vor, damit sie Feierabend hatten, um selbst noch etwas zu erleben. Kaum Erwähnung bedarf das danach nur wenige Monate im Hause erfolglos etablierte Rotlichtmilieu.
Die letzte Wirtin des "Deutschen Hauses" Frau Fricke bemühte sich redlich, das Image des Hauses wieder aufzuwerten, aber der erwartete Erfolg blieb aus und das Gasthaus wurde für immer geschlossen. Die lange Zeit der Gastronomie über Generationen - ja über Jahrhunderte - war damit beendet.
Doch es sollte ein gastliches Haus bleiben, denn 1987 kaufte die Caritas das Haus, ließ es für ihre Zwecke umbauen und eröffnete in dem Gebäude das St. Ansgar-Wohnheim, in dem Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr in einer Wohngemeinschaft betreut werden und hier für ihren weiteren Weg ins Leben erzogen, behütet und vorbereitet werden. Dieses Heim hat sich im Dorf gut integriert, so findet z. B. jedes Jahr im November der Laternenumzug des Kindergartens mit dem Musikzug der Feuerwehr auf dem Gelände und den Räumen des Heims seinen Abschluss. So haben die Geschichte des Steines von "1565" und des "Deutschen Hauses" eine gemeinsame Vergangenheit und beides präsentiert sich heute gut erhalten.
Nach dem großen Brand von 1714 - es blieben nur sechs Häuser erhalten - hat der Ort mit der Übergabe des nunmehr 452 Jahre alten Steines von 1565 ein Erinnerungsstück an seine Jahrhunderte alte Geschichte erhalten, das lange Zeit verborgen war und nun einen Ehrenplatz in der Gemeinde erhalten hat.
Quelle: Orts-Archiv Betheln
Hans-Henning Maas, Ortsheimatpfleger
3. Oktober 2017
Letzte Aktualisierung: 11.11.2024